Kol­lek­ti­ves Gedächt­nis und Erinnerungsorte

(Mar­ti­na Heinle)

Die Begriffe Kol­lek­ti­ves Gedächt­nis und Erin­ne­rungs­or­te sind zunächst ein­mal nicht als getrennt von­ein­an­der zu betrach­ten, viel­mehr kön­nen Erin­ne­rungs­or­te als ein Bestand­teil des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses ver­stan­den wer­den. Bei­de Ansät­ze ent­stam­men der Erin­ne­rungs­for­schung und sind im Fach Deutsch als Fremd­spra­che im Bereich des kul­tu­rel­len Ler­nens ver­or­tet. Die Kon­zep­te wer­den hier vor allem in Bezug auf die Fra­ge dis­ku­tiert, auf wel­che Wei­se sich die Ver­mitt­lung von Lan­des­kun­de best­mög­lich in den Fremd­spra­chen­un­ter­richt inte­grie­ren lässt, ohne dabei eine ste­reo­type und mon­o­per­spek­ti­vi­sche Dar­stel­lung der Ziel­spra­chen­kul­tur zu ris­kie­ren oder auf die Ver­mitt­lung von rei­nem Fak­ten­wis­sen hin­aus­zu­lau­fen. Dabei haben erin­ne­rungs-per­spek­ti­vi­sche Ansät­ze ein enor­mes Poten­ti­al für den fremd­sprach­li­chen Lan­des-kun­de­un­ter­richt, sie ber­gen jedoch auch Risi­ken, die es in Über­le­gun­gen zur Didak­ti­sie­rung und bei der Erstel­lung von Unter­richts­ma­te­ria­len zu berück­sich­ti­gen gilt.

Kol­lek­ti­ves Gedächt­nis und Erin­ne­rungs­or­te: Her­kunft und Theo­rie der Konzepte

Das Kon­zept des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses (mémoi­re coll­ec­ti­ve) stammt vom Sozio­lo­gen Mau­rice Halb­wachs und geht davon aus, dass sozia­le Grup­pen über gemein­sa­me Erin­ne­run­gen ver­fü­gen, wel­che in einem kol­lek­ti­ven Gedächt­nis gebun­den sind und eine iden­ti­täts­stif­ten­de Funk­ti­on für die den Grup­pen ange­hö­ri­gen Indi­vi­du­en besit­zen. Die The­se des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses erschien im Werk Les cad­res sociaux de la mémoi­re (Halb­wachs 1925), wel­ches 1985 unter dem Titel Das Gedächt­nis und sei­ne sozia­len Bedin­gun­gen ins Deut­sche über­setzt wur­de, sowie in La mémoi­re coll­ec­ti­ve (Halb­wachs 1939). Jan Ass­mann (1988:9) hebt her­vor, dass Mau­rice Halb­wachs, eben­so wie Aby War­burg mit des­sen Kon­zept des sozia­len Gedächt­nis­ses, kol­lek­tiv geteil­tes Wis­sen nicht mehr wie ehe­mals in der Bio­lo­gie, son­dern nun in der Kul­tur situiert.

Wei­ter­ge­dacht wur­de das Kon­zept des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses von Jan und Alei­da Ass­mann, die zwi­schen einem kom­mu­ni­ka­ti­ven und einem kul­tu­rel­len Gedächt­nis dif­fe­renzieren. Maß­geb­lich unter­schei­den­de Merk­ma­le die­ser bei­den Bestand­tei­le des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses lie­gen vor allem in der Distanz zum All­tag, dem Zeit­ho­ri­zont sowie den jewei­li­gen Trä­gern (vgl. J. Ass­mann 1988:11 ff.): So zeich­net sich das kom­mu­ni­ka­ti­ve Gedächt­nis durch eine hohe All­tags­nä­he aus und ist in kom­mu­ni­ka­ti­ven Situa­tio­nen bzw. im sprach­li­chen Aus­tausch unter Mit­men­schen erkenn­bar, wie z. B. beim Erzäh­len eines Wit­zes oder eines Erleb­nis­ses. Es „ent­steht […] in einem Milieu räum­li­cher Nähe, regel­mä­ßi­ger Inter­ak­ti­on, gemein­sa­mer Lebens­for­men und geteil­ter Erfah­run­gen“ (A. Ass­mann 2014:23). Das kom­mu­ni­ka­ti­ve Gedächt­nis reicht nur zwi­schen 80 bis maxi­mal 100 Jah­re in die Ver­gan­gen­heit zurück, wes­halb Alei­da Ass­mann (2014:23) auch vom „Kurz­zeit­ge­dächt­nis einer Gesell­schaft“ spricht. Mit dem Wech­sel der Gene­ra­tio­nen ver­schiebt sich auch der Zeit­ho­ri­zont. Das kul­tu­rel­le Gedächt­nis dage­gen hat eine viel grö­ße­re zeit­li­che Reich­wei­te, die poten­ti­ell über Jahr­hun­der­te zurück­rei­chen kann und sich nicht mit dem Gene­ra­tio­nen­wech­sel ver­schiebt. Das bedeu­tet jedoch nicht, dass das kul­tu­rel­le Gedächt­nis unver­än­der­lich und starr ist, denn es ent­hält soge­nann­te Erin­ne­rungs­fi­gu­ren (vgl. J. Ass­mann 1988:12 f.), deren Stel­lung im Gedächt­nis dyna­misch und ver­än­der­bar ist (vgl. dazu auch das Kon­zept vom Spei­cher- und Funk­ti­ons­ge­dächt­nis bei A. Ass­mann 2014:54 ff.). Die Bestän­de des kul­tu­rel­len Gedächt­nis­ses zeich­nen sich durch ihre All­tags­fer­ne aus und bestehen los­ge­löst von den leben­den Indi­vi­du­en auf mate­ri­el­len Trä­gern bzw. Medi­en (zur Medi­en­ge­bun­den­heit kul­tu­rel­ler Erin­ne­rungs­be­stän­de s. Bad­stüb­ner-Kizik 2015a).

Der bei Ass­mann ver­wen­de­te Begriff der Erin­ne­rungs­fi­gu­ren ver­weist auf das Kon­zept der Erin­ne­rungs­or­te (lieux de mémoi­re) von Pierre Nora. In einem sie­ben­bän­di­gen Werk sam­mel­te Nora über 130 Auf­sät­ze zu natio­na­len Erin­ne­rungs­or­ten des fran­zö­si­schen Kol­lek­tiv­ge­dächt­nis­ses (vgl. Nora 1984–1992). Unter den Erin­ne­rungs­or­ten sind nicht aus­schließ­lich geo­gra­phi­sche Orte zu ver­ste­hen, son­dern „all jene Phä­no­me­ne, über die eine Nati­on, sei es bewusst oder unbe­wusst, ihre kol­lek­ti­ve Erin­ne­rung und Iden­ti­tät kon­stru­iert und kon­ti­nu­iert“ (Forn­off 2009:501). Als Erin­ne­rungs­or­te kön­nen also bei­spiels­wei­se auch Arte­fak­te, Denk­mä­ler, his­to­ri­sche Per­so­nen, Sym­bo­le, Tex­te, Ritua­le und Ereig­nis­se fun­gie­ren. In den Erin­ne­rungs­or­ten kon­den­sie­ren die Bestän­de des kul­tu­rel­len Gedächt­nis­ses (vgl. Bad­stüb­ner-Kizik 2020:652), man kann sie als „‚Orte‘ im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis [begrei­fen], an denen Erin­ne­rung fest­ge­macht wird“ (ebd.:653). Mit den Erin­ne­rungs­or­ten ist die Vor­stel­lung ver­bun­den, dass Phä­no­me­ne der Ver­gan­gen­heit über Medi­en in die Gegen­wart trans­por­tiert wer­den und auf die­se Wei­se über lan­ge Zeit­räu­me hin­weg für sozia­le Grup­pen und ihre betei­lig­ten Indi­vi­du­en iden­ti­täts­stif­tend wir­ken. Der Ansatz der Erin­ne­rungs­or­te ist eine spe­zi­fi­sche Art der Geschichts­be­trach­tung, die nicht wie die klas­si­schen Geschichts­wis­sen­schaf­ten nach Chro­no­lo­gie, Linea­ri­tät und Voll­stän­dig­keit in der Dar­stel­lung fak­ti­scher Tat­sa­chen sucht. Nora bezeich­ne­te sie daher auch als his­toire au second degré (Nora 2002), Geschich­te zwei­ten Gra­des. Die­se fokus­siert die Ent­ste­hung kol­lek­ti­ver Gedächt­nis­se und die iden­ti­täts­stif­ten­den Funk­tio­nen der dar­in ent­hal­te­nen Phä­no­me­ne (vgl. Koreik/Roche 2014:10), kann ver­deck­te Deu­tungs­mus­ter und Wer­te­ori­en­tie­run­gen offen­le­gen und somit zu einem fremd­kul­tu­rel­len Ver­ständ­nis bei­tra­gen (vgl. Forn­off 2009:505). In die­sem Sin­ne wären auch „fal­sche“ Erin­ne­run­gen, sofern sie in der sozia­len Grup­pe eine Funk­ti­on erfül­len, von Bedeu­tung (vgl. dazu Bad­stüb­ner-Kizik 2015b:98).

Als „das ent­schei­den­de Start­si­gnal“ für das Kon­zept iden­ti­fi­zie­ren Koreik und Roche (2014:9) für den deutsch­spra­chi­gen Raum das drei­bän­di­ge Werk Die deut­schen Erin­ne­rungs­or­te von François/Schulze (2001). Es han­delt sich hier also um einen rela­tiv jun­gen Ansatz, des­sen Poten­ti­al in der prak­ti­schen Anwen­dung noch nicht aus­ge­schöpft ist.

Anwen­dung erin­ne­rungs­per­spek­ti­vi­scher Ansät­ze im Fremdsprachenunterricht

Betont Koreik (1995:70) Mit­te der 1990er noch die Pro­ble­ma­tik der Kon­kre­ti­sie­rung der Theo­rie des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses für die Pra­xis auf­grund eines Man­gels an empi­ri­scher Nach­weis­bar­keit, so wer­den in neue­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen die Vor­tei­le einer erin­ne­rungs­wis­sen­schaft­li­chen Per­spek­ti­ve für die Ver­mitt­lung kul­tu­rel­ler Inhal­te her­vor­ge­ho­ben (so auch in Koreik 2015:15).

Durch­ge­setzt hat sich im DaF-Bereich die Betrach­tungs­wei­se des kul­tu­rel­len Gedächt­nis­ses nach Ass­mann und Ass­mann und ins­be­son­de­re das Nora­sche Kon­zept der Erin­ne­rungs­or­te hat hier regen Anklang gefun­den. Dies betrifft nicht nur theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen, son­dern glei­cher­ma­ßen Ver­su­che einer prak­ti­schen Umset­zung bzw. der Didak­ti­sie­rung für das kul­tu­rel­le Ler­nen im Fremd­spra­chen­un­ter­richt. Zu den ers­ten die­ser Ver­su­che zäh­len die Lehr­ma­te­ria­li­en von Schmidt und Schmidt (2007). Aktu­el­le­re Beschäf­ti­gun­gen mit Erin­ne­rungs­or­ten, die teil­wei­se auch didak­ti­sche Emp­feh­lun­gen beinhal­ten, fin­den sich in den Bän­den Erin­ne­rungs­or­te und Erin­ne­rungs­kul­tu­ren (Roche/Röhling 2014) und Kul­tu­rel­les Gedächt­nis und Erin­ne­rungs­or­te im hoch­schul­di­dak­ti­schen Kon­text (Bad­stüb­ner-Kizi­k/Hil­le 2015). Das Netz­werk memo­dics (https://memodics.wordpress.com) stellt dar­über hin­aus neben einer Lite­ra­tur­lis­te auch kon­kre­te Unter­richts­ma­te­ria­li­en zu The­men des kul­tu­rel­len Gedächt­nis­ses sowie zu deutsch-pol­ni­schen Erin­ne­rungs­or­ten zur Ver­fü­gung. Lehr­kräf­te, die das vol­le Poten­ti­al eines erin­ne­rungs­per­spek­ti­vi­schen Ansat­zes im Lan­des­kun­de­un­ter­richt nut­zen wol­len, kom­men jedoch nicht umhin, eige­nes Mate­ri­al zu erstel­len. Nicht zuletzt, weil die Aus­wahl für den Unter­richt geeig­ne­ter Erin­ne­rungs­or­te auch von lern­ergrup­pen­spe­zi­fi­schen Fak­to­ren abhängt. Die Aus­wahl­kri­te­ri­en von Bad­stüb­ner-Kizik (2020:658 f.) hel­fen dabei, ein­zu­schät­zen, wann es sich bei einem kul­tu­rel­len Phä­no­men um einen Erin­ne­rungs­ort han­delt. Auf­grund der Medi­en­ge­bun­den­heit von Bestän­den des kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses schließt sich hier direkt die Fra­ge nach der Medi­en­aus­wahl an. In der Pra­xis hat sich ein Zusam­men­spiel von visu­el­len und schrift­li­chen Medi­en als beson­ders geeig­net erwie­sen (vgl. Forn­off 2009:509 f.). Bei der Ver­wen­dung von bereits vor­han­de­nem lan­des­kund­li­chem Lehr­werks­ma­te­ri­al ist Wach­sam­keit gebo­ten. Koreik (1995:75 ff.) ent­deck­te in DaF-Lehr­wer­ken gra­vie­ren­de inhalt­li­che Feh­ler in der Dar­stel­lung his­to­ri­scher Gege­ben­hei­ten. Auch wenn die­ser Fund mehr als zwan­zig Jah­re zurück­liegt, ist das alar­mie­rend. Fak­ten­wis­sen schafft auch beim Ansatz der Erin­ne­rungs­or­te eine wich­ti­ge Grund­la­ge zum hier gefor­der­ten Ver­ständ­nis kom­ple­xer Pro­zes­se von Bedeu­tungs­zu­schrei­bung (vgl. Fornoff/Koreik 2020:53).

Dem Auf­wand der Mate­ri­al­prü­fung und ‑erstel­lung gegen­über ste­hen die Vor­tei­le, wel­che die Ver­mitt­lung kul­tu­rel­ler Inhal­te durch Erin­ne­rungs­or­te mit sich bringt. Einer davon ist die poten­ti­ell inte­gra­tiv wir­ken­de Funk­ti­on. So kann das Ler­nen an Erin­ne­rungs­or­ten die Inte­gra­ti­on in die ziel­sprach­li­che Kul­tur unter­stüt­zen. Dies liegt zum einen in ihrem ein­schlie­ßen­den oder — bei Nicht-Teil­ha­be — aus­schlie­ßen­den Cha­rak­ter begrün­det (vgl. Bad­stüb­ner-Kizik 2020:653). Laut Forn­off (2009:502) ist das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis gar „das wich­tigs­te Bin­de­glied einer sozia­len Grup­pe“. Zum ande­ren kön­nen hier­mit „Wis­sens­be­stän­de […] auf­ge­deckt wer­den, die Vor­aus­set­zun­gen sprach­lich kom­mu­ni­ka­ti­ver Hand­lun­gen sind“ (ebd.:500).

Anlass zur Kri­tik gibt im Fach Deutsch als Fremd­spra­che der natio­na­le Refe­renz­rah­men, in dem der Ansatz der Erin­ne­rungs­or­te ent­stan­den ist (vgl. etwa Bad­stüb­ner-Kizik 2014:43). Dies geschieht ange­sichts der Abwen­dung der Kul­tur­wis­sen­schaf­ten von einem an Län­der­gren­zen ori­en­tier­ten Kul­tur­be­griff im Sin­ne von Natio­nal­kul­tu­ren hin zu einer Zuwen­dung zu einem dyna­mi­schen Ver­ständ­nis von Kul­tu­ren mit dem ihnen inne­woh­nen­dem (Re-)konstruktionscharakter (vgl. etwa Koreik/Roche 2014:9 und Bad­stüb­ner-Kizik 2020:655). Alt­may­er (2017:9 f.) kri­ti­siert in Anbe­tracht einer von Globalisierungs‑, Digi­ta­li­sie­rungs- sowie Migra­ti­ons­pro­zes­sen betrof­fe­nen Welt beson­ders vehe­ment die ver­meint­lich natio­nal­staat­li­che Ori­en­tie­rung der Lan­des­kun­de und for­dert eine Los­lö­sung von sol­chen Kon­struk­ten wie Natio­na­li­tät oder Ter­ri­to­ri­a­li­tät. Dage­gen hal­ten lässt sich ers­tens, dass „auch in Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaf­ten […] natio­nal­his­to­ri­sche For­men der Gedächt­nis­bil­dung iden­ti­täts­kon­sti­tu­ti­ven Cha­rak­ter [haben]“ (Fornoff/Koreik 2020:49; vgl. dazu auch auf die dar­in hin­ge­wie­se­nen Stu­di­en von Kölbl 2004 und 2008 zum Geschichts­be­wusst­sein von Jugend­li­chen in Deutsch­land). Zwei­tens kann der Ansatz der Erin­ne­rungs­or­te auch in nicht natio­na­len Kon­tex­ten ange­wen­det wer­den, (vgl. Fornoff/Koreik 2020:52 ff.). Ein Beleg dafür sind die Ansät­ze der geteil­ten, gemein­sa­men und par­al­le­len Erin­ne­rungs­or­te, wie etwa im fünf­bän­di­gen Werk Deutsch-pol­ni­sche Erin­ne­rungs­or­te (Hahn/Traba 2012–2015) umge­setzt. Die genann­ten Ansät­ze las­sen nicht nur die Gegen­über­stel­lung inhalt­lich glei­cher oder ähn­li­cher Erin­ne­rungs­or­te inner­halb ver­schie­de­ner kol­lek­ti­ver Gedächt­nis­se zu, son­dern auch den Ver­gleich inhalt­lich unter­schied­li­cher Erin­ne­rungs­or­te mit einer ähn­li­chen iden­ti­täts­stif­ten­den Wir­kung (sog. par­al­le­le Orte). Sen­si­bi­li­tät beim Ein­satz solch kul­tur­kon­tras­ti­ver Ansät­ze bedarf es bei Ler­nen­den, die aus Kul­tu­ren ohne gedächt­nis­ge­schicht­li­che Denk­wei­sen stam­men, denn die­se könn­ten sich in ihrer Iden­ti­tät ange­grif­fen füh­len (vgl. Forn­off 2009:514 f.).

Koreik und Roche (2014:21 f.) sehen das Kon­zept der Erin­ne­rungs­or­te zudem als dazu geeig­net, den Trans­dif­fe­renz­an­satz im fremd­sprach­li­chen Lan­des­kun­de­un­ter­richt umzu­set­zen. Bei die­sem Ansatz geht es dar­um, Dif­fe­renzen zu beto­nen und den Umgang mit ihnen zu erpro­ben. Am Ende steht weder deren Auf­lö­sung noch die Über­nah­me des Frem­den ins Eige­ne, was die Arbeit mit Erin­ne­rungs­or­ten eben nicht zwin­gend ver­langt (vgl. ebd.).

Die Kon­zep­ti­on der Erin­ne­rungs­or­te wird nicht zuletzt als Chan­ce wahr­ge­nom­men, die For­de­rung der ABCD-The­sen (IDV 1990:17) zu erfül­len, im fremd­sprach­li­chen Lan­des­kun­de­un­ter­richt his­to­ri­sche Inhal­te mit Gegen­warts­be­zug zu ver­mit­teln (vgl. Bad­stüb­ner-Kizik 2020:655; Forn­off 2009:506 f.; Koreik 2015:23), da „hier Phä­no­me­ne fokus­siert [wer­den], die es […] aus der Ver­gan­gen­heit in die Gegen­wart ‚geschafft‘ haben“ (Bad­stüb­ner-Kizik 2020:655). Vor einer zu ober­fläch­li­chen Betrach­tungs­wei­se die­ser Phä­no­me­ne kann der Ansatz jedoch nicht schüt­zen (vgl. Koreik/Roche 2014:9).

Koreiks Befürch­tung, dass den Erin­ne­rungs­or­ten das­sel­be Schick­sal wie dem Kon­zept der Inter­kul­tu­ra­li­tät ereilt und sie sich durch einen infla­tio­nä­ren Begriffsge­brauch zu einer rei­nen Mode­er­schei­nung ent­wi­ckeln (vgl. Koreik 2015:30), hat sich bis­her noch nicht bestä­tigt. Im Gegen­teil, das Ende des soge­nann­ten Erin­ne­rungs­booms ist noch nicht absehbar.

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