Kanaks­prak

(Jörg Roche)

  • Der Eth­no­lekt Kanaks­prak (Kiez­deutsch) wur­de zunächst vor­wie­gend von männ­li­chen, in Deutsch­land auf­ge­wach­se­nen, tür­kisch­stäm­mi­gen Spre­chern erwor­ben und ver­wen­det. Heu­te ist die Kanaks­prak wei­ter ver­brei­tet und hat Ele­men­te einer all­ge­mei­nen Jugend­spra­che ange­nom­men. Auch auto­chtho­ne deutsch­spra­chi­ge Jugend­li­che über­neh­men so zum Bei­spiel Ele­men­te die­ses Eth­no­lekts, vor allem das geroll­te, nicht voka­li­sier­te /r/ und bestimm­te Chunks wie Isch­wör! (‚Ich schwö­re’), Wör­ter wie Alter, Ver­stär­ker wie krass und kor­rekt (kras­se Gegend, voll kor­rekt). Wei­te­re Merk­ma­le sind:
  • Redu­zie­rung der Anlaut­clus­ter: /ts/ wer­den zu /s/ redu­ziert, sil­ben­zäh­len­der Rhyth­mus, Ver­kür­zung der gespann­ten Voka­le, Erhö­hung der Sonoritätswerte
  • Mor­pho­lo­gie: Ver­än­de­rung der Gene­ra (gutes Gewinn, son gro­ßer Pla­kat), Ver­än­de­rung der Endun­gen (schlech­ten Gewis­sen gehabt, kei­ne rich­ti­ge Grup­pen), Feh­len der Arti­kel­wör­ter (da wird Mes­ser gezo­gen, sonst bist du toter Mann), Weg­las­sung der Prä­po­si­tio­nen (geh’mer Tank­stel­le, ich wohn ja Karl-Preis-Platz), Ände­rung der Verb­va­lenz (mit dem du gehei­ra­tet hast)
  • Syn­tax: Ver­än­de­rung der deut­schen Satz­stel­lung in SVO (jetzt ich bin 18), Weg­las­sung der sup­p­le­ti­ven Pro­no­men (als ich ken­nen­ge­lernt hab).

Wenn deutsch­spra­chi­ge Jugend­li­che sich die­ser Varie­tät anneh­men, dann oft, um damit eine Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit zu signa­li­sie­ren, die eigent­lich nicht gege­ben ist. Damit ver­än­dert sich suk­zes­si­ve das prag­ma­ti­sche Umfeld des Eth­no­lekts. Er wech­selt von einem Mit­tel der Abgren­zung vom Main­stream zu einem Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mit­tel einer neu­en In-Group.

Den Namen Kanaks­prak hat die­ser Eth­no­lekt von dem gleich­na­mi­gen Buch von Fer­idun Zai­mo­g­lu (2011) erhal­ten, der aus einer pri­mä­ren Varie­tät abge­lei­tet ist, gegen­über ihrer ursprüng­li­chen kom­mu­ni­ka­ti­ven Ver­wen­dung aber cha­rak­te­ri­sie­ren­de, oft poe­to­lo­gi­sche Züge auf­weist. So bezeich­net Zai­mo­g­lu sei­ne Lite­ra­tur als „Nach­dich­tung“ (21), die den Mit­glie­dern des authen­ti­schen Milieus eine von ihnen auto­ri­sier­te Stim­me ver­leiht. Sie hebe sich ab von dem Mär­chen von der Multikulturalität.

Lite­ra­tur

  • Auer, Peter (2003), ‚Tür­kens­lang‘: Ein jugend­sprach­li­cher Eth­no­lekt des Deut­schen und sei­ne Trans­for­ma­tio­nen. In: Häcki-Buho­fer, Anne­lies (Hrsg.), Sprach­er­werb und Lebens­al­ter. Tübin­gen: Fran­cke, 255–264.
  • Zai­mo­g­lu, Fer­idun (2011), Kanak Sprak. Köln: Kie­pen­heu­er & Witch.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert